„Dank“ Kießlings bestechender Frühform ist mal wieder die unsägliche Diskussion um seine Nationalmannschaftskarriere aufgepoppt, die ich eigentlich nicht weiter befeuern möchte (aber es im Endeffekt wahrscheinlich doch tue. Argh!).
Allerdings habe ich mir die Frage gestellt, wie ein Kießling statistisch im Vergleich zu unseren beiden gesetzten Nationalstürmern Klose und Gomez abschneidet. Dazu habe ich die Daten seit dem Nürnberger Wiederaufstieg (und somit dem Beginn von Kießlings Bundesligakarriere) zusammengetragen und in formschöne Diagramme gegossen. Um Kießlings und Kloses spielerische Stärken mit abzubilden habe ich Tore und Vorlagen addiert und die Minuten Spielzeit pro Torbeteiligung (TB) ausgerechnet. Schauen wir uns das mal an:
Die Saison 2004/05 war nicht nur Kießlings erste richtige Bundesligasaison, sondern auch Kloses erste im Werder-Dress. Gomez sammelte erste Einsatzminuten, blieb aber noch ohne Tor und Assisst.
Klose dominiert, Gomez brilliert, Kießling stagniert
Während Klose zu der Zeit fraglos der beste deutsche Stürmer ist (05/06: 55 (!) Min/TB), entwickelt sich Gomez schnell zu einem Top-Torjäger (125, 94, 85, 88). Kießling wechselt zur Saison 2006/07 für 6,5 Mio aus Nürnberg nach Leverkusen – und benötigt Zeit, seinen Platz zu finden. Während Gomez Stuttgart 2007 zur Meisterschaft schießt (94 Min/TB), muss in Kießling noch die Erkenntnis reifen, dass er körperlich zulegen muss (166 Min/TB). Folgerichtig wird er von Trainer Skibbe vermehrt auf den Außenpositionen eingesetzt, wo er Mittelstürmer Barbarez bedienen soll. Die Spielpraxis lässt ihn wieder zu Selbstvertrauen kommen – parallel arbeitet er an seiner Robustheit und kommt zurück auf Nürnberg-Niveau (05/06 und 08/09: 143 Min/TB).
Stürmer hilft Stürmer
Als der ehemalige Weltklassestürmer Jupp Heynckes 2009 neuer Trainer unterm Bayer-Kreuz wird, baut er auf Kießling – und der dankt es ihm mit Toren. Erstmals weist er eine größere Torgefahr auf als Kollege Gomez (104 zu 129), der sich in München eingewöhnen muss. Kießling erzielt 21 Tore (7 Vorlagen), eine Quote, die er erst als Torschützenkönig 2013 mit 25 Treffern (10 Vorlagen) noch verbessern kann. Gomez hingegen spult bei den Bayern ein bekanntes Muster ab: wie in Stuttgart braucht er eine Saison zur Eingewöhnung, in den folgenden drei Jahren kommt er auf über eine Torbeteiligung pro Spiel (129, 74, 85, 68).
Klose hingegen kommt nicht gegen die neue Konkurrenz bei den Bayern an und verlebt zwei schwere Jahre, bis er in Italien bei Lazio Rom wieder zu alter Stärke findet. Ein Weg, den auch Gomez eingeschlagen hat, obwohl sein letztes Jahr bei Bayern mit 68 Min/TB sein bestes war. Doch als Joker ist er zu schade.
Internationale Erfahrung als Faustpfand
Was auffällt: während Gomez von der Torgefahr her seit Jahren der mit Abstand beste deutsche Stürmer ist, hat sich Kießling zuletzt an Klose vorbeigeschoben. Dass er dennoch nicht in der Lage ist, auf den Routinier Druck auszuüben, liegt wohl in dessen internationaler Erfahrung begründet. Mit 29 Jahren gilt Kießling auch nicht mehr als Perspektivspieler. Seine (im Vergleich) mangelhafte internationale Erfahrung schlägt sich auch in den Zahlen nieder:
Während Klose und Gomez fast seit Karrierebeginn international vertreten sind, sind Kießlings Daten mit großen Lücken versehen. Dazu kommt, dass seine einzige Champions League Saison 2011/12 auch seine schwächste Quote darstellt (543 Min/TB), während Klose und vor allem Gomez ihre Liga-Quoten international halten bzw. sogar merklich verbessern können – und das vornehmlich in der Champions League.
Hat Kießling sein Limit bereits erreicht?
Man könnte zu dem Schluss kommen, dass es für Kießling einfach nicht für ganz oben reicht. Für das Niveau, auf dem sich der FC Bayern befindet, der es sich leisten kann, einen Gomez ziehen zu lassen. Für dieses Niveau, auf dem sich auch die Nationalmannschaft sieht.
Ein trennscharfes Fazit möchte ich dennoch nicht ziehen, dazu ist diese Betrachtung nicht umfassend genug. Kießling ist ein Topstürmer und besonders in seiner mannschaftsdienlichen Spielweise nicht hoch genug einzuschätzen. Ob er jedoch in das Konzept des Bundestrainers passt, kann nur einer entscheiden: der Bundestrainer selbst.
Dass er die Nationalmannschaft nicht braucht, um fußballerisch glücklich zu sein, hat er längst begriffen. Und in Leverkusen schätzen sie sich glücklich, einen solchen Angreifer zu haben. „Stefan ist das Herz von Bayer. Ein Fixpunkt, wie früher Ulf Kirsten.“, sagte Rudi Völler erst neulich über seinen Mittelstürmer. Der darf sich in dieser Saison endlich wieder in der Champions League beweisen – im Gegensatz zu Gomez und Klose. Dafür hat er sich Großes vorgenommen. Und wie es im Fußball so ist: Die Wahrheit liegt nicht in Statistiken – sie liegt auf dem Platz.