Ist Fußball wichtig?

Die Corona-Krise stellt Fragen. An jeden einzelnen, an die Politik, an die Gesellschaft – und damit auch an den Fußball, der Teil dieser Gesellschaft ist. Während man sich im Alltag kaum vor der Allgegenwart der schönsten Nebensache der Welt verbergen konnte – jeder Tag ist ein Spieltag – herrscht nun gähnende Leere. Nichts geht mehr.

Während der kurzen Übergangsphase von Normalzustand zu Vollstopp, riefen uns die Geisterspiele in Erinnerung, wie unersetzbar für den Fußball die Fans sind. Die große Bühne Champions League – ohne Fans kein besserer Trainingskick. Wer sich das Rückspiel zwischen Paris SG und Borussia Dortmund angesehen oder (wie ich) im Webradio angehört hat, erlebte Kommentatoren, die spürbar bemüht waren, dem Spiel den passenden Rahmen zu geben – oder besser: herbeizureden. Ohne unisono aufschreiende Masse bei Fouls, ohne hörbar ansteigene Anspannung des Kollektivs, wenn eine Mannschaft gefährlich vors Tor kam: Es war gespenstisch uninteressant.

Große Helden werden wohl nur in großen Arenen geboren – man kann es sich schier nicht vorstellen, dass man über ein atemberaubendes Solo, einen Schuss in den Winkel, eine perfekt getimte Grätsche in höchster Not noch Jahre danach staunend fachsimpelt, wenn die Aktion nicht vom bangenden, jubelnden, applaudierenden Publikum mitvollzogen wird.

Die Fußballvereine, die – ebenso wie die Liga – wirtschaftlich handelnde Unternehmen sind, stehen nun vor der wohl größten Herausforderung des Fußballsports. Wo in den letzten Jahren entuferte Ablösesummen (was sind heute noch 40 Millionen?) und Gehälter, utopistische Fernsehverträge und eine weltweite Vermarktung des Produkts Fußball im Blickfeld standen, steht nun das nackte Überleben. Nichts geht mehr. Die Ungewissheit ist groß.

Die Bundesliga wappnet sich gegen das Virus und prüft eine Fortführung der Saison – ohne Zuschauer. Das wirtschaftliche Überleben steht im Vordergrund und im Interesse aller Beteiligten. Belgien hingegen hat bereits die aktuelle Tabelle zur Abschlusstabelle erklärt und die übrige Saison abgesagt. Die Konstellation dafür war günstig, haben doch alle Mannschaften exakt zwei Mal gegeneinander gespielt, sodass grobe Benachteiligung einzelner Vereine ausgeschlossen ist. Die UEFA ihrerseits versucht zu verhindern, dass weitere Nationen dem belgischen Modell folgen. Der Ball soll und muss rollen.

Terminlich Luft verschafft zumindest die Verlegung der Europameisterschaft auf 2021, Bleiben andere Fragen offen: Wie ist mit Spielerverträgen umzugehen, die in aller Regel zum 30.06. geschlossen werden, wenn die Saison darüber hinaus fortgesetzt werden muss? Können Spieler dennoch zu diesem Zeitpunkt wechseln (und spielen)? Oder gibt es einen großen alternativen Kalender?

Um die organisatorischen Fragen kümmern sich die entsprechenden Gremien; der einfache Fan zu Hause hingegen kann sich mit der virtuellen Bundesliga trösten – und hat Zeit, in sich zu gehen. Wie wichtig ist der Fußball? Wie gerechtfertigt ist die Präsenz, die er tagein tagaus in den Medien einnimmt? Welche Rolle spielt er in der Gesellschaft – welche im persönlichen Leben und Medienkonsum? Ist er Kosumprodukt oder Produkt der eigenen Leidenschaften? Welche Rolle sollte er in Zukunft einnehmen?

Nach Corona wird vieles nicht mehr so sein, wie es vorher war. Fußball wird es – und das ist die gute Nachricht – weiter geben. Die Hoffnung ist jedoch, dass er geläutert zurückkommt. Dass nicht die große Show und der maximale Profit im Vordergrund steht, sondern das, weshalb wir alle den Fußball lieben: Ein Ball, zweiundzwanzig Spieler, sportlicher Wettkampf – und eine leidenschaftliche Menschenmenge, die den Soundtrack dazu liefert.

Dieser Beitrag wurde am von unter Bundesliga veröffentlicht.

Über Tery Whenett

Tery fing mit 8 Jahren an, systematisch Fußballthemen zu sammeln und in einem Aktenordner aufzubereiten. Mit 16 unterhielt er eine Hargreaves-Fanpage und beginnt, unzählige Fußballartikel zu speichern. Und nun, zehn Jahre später, wird das geballte (Halb-)Wissen ausgebloggt.

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