Spanische Verhältnisse?

Derzeit wird die deutsche Fußballlandschaft wieder einmal vom Schreckgespenst der Ungleichheit heimgesucht. Diese diffuse Angst vor “spanischen Verhältnissen” ist allerdings ziemlich fragwürdig. Zumindest, wenn man die emotionale Diskussion anhand von Fakten analysiert. Das übernimmt dankenswerterweise ein Kollege von bettingexpert in diesem Gastbeitrag.

Was sind spanische Verhältnisse?

“Spanische Verhältnisse” sind am Stammtisch zum Synonym für die ligaweite Dominanz weniger Mannschaften geworden, die wahlweise aufgrund ihrer Finanzstärke oder – was noch viel schlimmer ist – ihrer offenkundigen Missachtung für die Spielregeln des Financial Fairplay einen unerreichbaren finanziellen Vorteil haben. Dass vor allem letzteres Argument bisweilen fragwürdig ist, da Vereine wie zum Beispiel das scheinbar finanziell “verantwortungslose” Real Madrid eben nicht nur Schulden, sondern auch jede Menge Umsatz machen, sei einmal dahingestellt. Die im Zuge der Romantisierung des Fußballs vielzitierte These, dass der Erfolg einzelner Klubs den Ligaalltag vorhersagbar und daher langweilig mache, ist aber definitiv zweifelhaft. Eigentlich haben wir es mit einem Definitionsproblem zu tun: Ist eine Liga bereits unausgeglichen und damit langweilig, wenn der FC Bayern überdurchschnittlich oft Meister wird?

Droht der Bundesliga Langeweile?

Aus der Perspektive des statistisch interessierten Fans halte ich diese Definition zumindest für fragwürdig, da die Spannung der Bundesliga für mich eben nicht nur in der Frage nach der Meisterschaft, sondern auch im Rennen um die internationalen Plätze besteht. Kurz gesagt: Um das Bemühen der Klubs, überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen.

Dass es sich bei diesem Bemühen um eine gut messbare Größe handelt, will ich nun kurz darstellen. Ein guter Ausgangspunkt für die Messung des Erfolgs einzelner Mannschaften ist zum Beispiel die Heimstärke. Untersucht man diese und setzt sie dann ins Verhältnis zum Ligadurchschnitt, erhält man eine gute Übersicht darüber, ob bzw. wie sich die Heimperformance einer einzelnen Mannschaft vom Durchschnitt der Liga unterscheidet. Je näher die Mannschaftsleistungen am Durchschnitt liegen, desto ausgeglichener muss also auch die Bundesliga in ihrer Gesamtheit sein.

Daten, die ich für diese Untersuchung herangezogen habe, sind die Anzahl der Heimsiege und die Anzahl der erzielten bzw. kassierten Tore sowie die dafür benötigten Torschüsse. Der Messzeitraum waren die 720 Spiele der Spielzeiten seit 2012. Der Einfachheit halber habe ich mich darauf beschränkt, zu untersuchen, inwieweit vermeintlich überdurchschnittliche Teams (Bayern, Dortmund, Schalke, Leverkusen und Gladbach) vom Ligadurchschnitt abweichen.

Der Ligadurchschnitt

45,3 % der letzten 720 Bundesligaspiele (Messzeitraum: 24.08.2012 bis 23.11.2014) endeten mit einem Heimsieg, wärend in 30,8 % der Fälle das Auswärtsteam den Platz als Sieger verließ. Die Tendenz, dass ein Spiel nach der ersten Halbzeit noch Unentschieden steht, beträgt 37,5 % und ist damit ungemein höher als die Anzahl der tatsächlichen Unentschieden nach der regulären Spielzeit (23,9 %).

Ligaweit erzielten die Teams 1191 Heimtore und kassierten 967 Treffer – ein Verhältnis von 55,2 % zu 44,8 % also. Bemerkenswert ist, dass sowohl die Heim- als auch Auswärtsteam eine fast deckungsgleiche Effizienz an den Tag legen: 3,23 bzw. 3,22 Schüsse aufs Tor brauchten die Mannschaften durchschnittlich, um ein Tor zu erzielen.

Heimbilanz Bundesliga

Die Heimbilanz im Ligadurchschnitt und bei ausgewählten Teams

FC Bayern

Der Rekordmeister ist wenig überraschend der statistische Ausreißer und dem Liga-Durchschnitt klar überlegen. 87,8 % der Heimspiele wurden gewonnen (und nur 4,9 % verloren) und in 65,9 % der Fälle holten die Münchner auch schon die Halbzeitführung. Außerdem agieren sie mit 2,72 Torschüssen per Tor deutlich kaltschnäuziger als die Liga, während die Gegner in der Allianz-Arena 4,43 Versuche für einen Torerfolg brauchten.

Borussia Dortmund

Schon Dortmund, trotz der aktuellen Krise eines der erfolgreichsten deutschen Mannschaften in den letzten Jahren, nähert sich dem ligaweiten Durchschnitt zumindest in einigen Kernwerten an. Der BVB gewinnt “nur” 57,5 % seiner Heimspiele und verliert fast ebenso viele wie der Ligadurchschnitt (27,5 % zu 30,8 %).

Dortmund braucht 3,29 Torschüsse für einen Torerfolg, was sogar leicht über dem Ligadurchschnitt liegt. Außerdem ist es gegen Dortmund deutlich leichter, ein Tor zu schießen: Die Gegner brauchten nur 2,58 Schüsse per Tor (Liga: 3,22).

Schalke 04

Schalke ist eine recht heimstarke Mannschaft (65 %) und entscheidet auch die erste Halbzeit überdurchschnittlich oft für sich (52,5 %). Unterdurchschnittlich sind die Knappen, wenn es darum geht, Torschüsse abzuwehren. Hier landet jeder 2,82te Schuss im Kasten der Di Matteo-Truppe.

Bayer Leverkusen

Leverkusen bewegt sich statistisch gesehen auf dem Niveau der Schalker – und tatsächlich konkurrieren die beiden Teams in der Regel um die direkte Champions-League-Qualifikation. Auch Leverkusen punktet mit einer überdurchschnittlichen Heimstärke (62,5 %), hat aber ansonsten sehr durchschnittliche Werte: Für ein Tor in der heimischen Arena braucht die Werkself 3,30 Torschüsse (Liga: 3,23), während der Gegner 3,05 Schüsse für einen Torerfolg benötigt (Liga: 3,22).

Borussia Mönchengladbach

Die Borussen sind das wohl durchschnittlichste Team aller deutscher Topvereine: Die Fohlen gewinnen 53,7 % ihrer Heimspiele (Liga: 45,3 %) und brauchen vor heimischer Kulisse etwa 2,83 Schüsse per Torerfolg (Liga: 3,23). Ihre große Stärke ist aber die Defensive: Durchschnittlich 4,82 Schüsse benötigen die Gegner, wenn sie zu einem Torerfolg in Mönchengladbach kommen wollen.

Torschussbilanz Bundesliga

Schüsse pro Tor (blau) und Gegentor (rot) bei Heimspielen.

Fazit

Fans, die die Spannung der Bundesliga einzig und allein von der Meisterschale abhängig machen, werden sich angesichts der Zahlen bestätigt fühlen: Der FC Bayern zieht an der Spitze einsam seine Kreise und dürfte diese Rolle angesichts der deutlich statistischen Überlegenheit über Jahre hinweg inne haben.

Vergleicht man jedoch die Leistungsdaten der Konkurrenz, zeichnet sich das Verfolgerfeld über eine hohe Leistungsdichte, also Ausgeglichenheit, aus. Der Vorwurf allzu einseitiger Verhältnisse ist also etwas zu kurz gegriffen.

 

Bild: Ranofuchs [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

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