Der unwahrscheinlichste Coup

Der deutsche Fußballfan an sich kennt sich im Allgemeinen doch sehr gut aus, wenn es um seinen Lieblingssport geht. Vielleicht geht er gerne zum lokalen Kreisligisten, spielt dort sogar selbst oder liest doch zumindest die Ergebnisspalte in der Lokalzeitung. Je weiter er von zu Hause weggeführt wird, desto schwammiger werden diese Kenntnisse jedoch. Wer bekommt schon aus dem Kopf die komplette erste Liga Frankreichs zusammen?

Ich schreibe das mit der vollen Überzeugung, selbst ein Fußballverrückter zu sein. Wenn Fußball gespielt wird, schaue ich es mir an. Warum auch nicht? Nun hat Frankreich nicht gerade die spannendste Liga. Paris und dann lange nichts mag ein paar Neureiche aus dem arabischen Raum begeistern, aber sicher nicht den gewöhnlichen deutschen Fan. Viermal hintereinander wurden Ibrahimovic und Co. gerade Meister mit teils lächerlich großem Vorsprung. Na klar, das taten die Bayern auch, aber die spielen immerhin direkt vor der Haustür.

Kleinstadt-Klub braucht noch einen Sieg

Das bringt uns zum Coup. Nicht in der sich der Sommerpause zuwendenden Bundesliga oder Ligue 1, sondern im beschaulichen kleinen Uruguay. Bekannt durch Weltklassespieler wie Luis Suárez, Edinson Cavani oder Diego Godín, die gewöhnlich in ihren Teenager-Jahren das Land nach Europa verlassen, dümpelte die Liga im gewohnten Trott vor sich hin. Nacional und Peñarol Montevideo machten den Titel wie üblich unter sich aus, bis in diesem Jahr ein Aufsteiger für ungeahnte Furore und Spannung sorgte. Plaza Colonia, ein Klub aus der 26.000-Einwohner-Stadt Colonia del Sacramento im Südwesten des Landes, war auf einmal nicht mehr zu schlagen und führt die Tabelle zwei Spieltage vor Saisonende vor allen Arrivierten an.

Eins gegen zwei am Sonntagabend. Quelle: https://sporticos.com/de/2016-05-29/201169-spiel-ca-penarol-vs-plaza-colonia-cd

Eins gegen zwei am Sonntagabend um 21 Uhr. Quelle: Sporticos

Zu Beginn der 2000er Jahre trugen Mauricio Victorino und Diego Lugano das weiß-grüne Trikot von Plaza und blieben damit bis heute die bekanntesten Spieler. Dieser Umstand könnte sich zumindest im begeisterungsfähigen Uruguay schlagartig ändern, sollte die Sensation des Außenseiters gelingen. Treffenderweise sind die bekanntesten Gesichter des Klubs Verteidiger. Trainer Eduardo Espinel hat eine Mannschaft zusammengestellt, deren großes Plus neben unbändigem Willen vor allem ihre Abwehrstärke ist. Kein Wunder, war es doch Espinel selbst, der damals mit Lugano das Innenverteidiger-Pärchen bildete. Gerade einmal acht Gegentore wurden in 13 Spielen kassiert. Ein Heimspiel gegen das Kellerkind Danubio verbleibt zum Saisonende, während man am kommenden Wochenende dem ärgsten Verfolger Peñarol einen Besuch abstattet. Der direkte Weg zum Titel? Ein Sieg und Plaza wäre durch.

„Harte Arbeit kommt vor allem anderen.“ – Eduardo Espinel

Vergleiche mit Leicester City sind in Uruguay allgegenwärtig, doch wirklich zutreffen tun sie abseits der Sensation selbst nicht. Plaza hat kein Geld und war vor einigen Jahren praktisch insolvent, Neuzugänge kommen meist aus unteren Ligen, wie zum Beispiel Stürmer Germán Rivero, vormals in Argentiniens dritter Liga. Nun ist er der beste Torschütze des Aufsteigers, hat in der Clausura (Ligahälfte von Januar bis Sommer in vielen Ländern Südamerikas) bereits achtmal ins Schwarze getroffen.

„Uruguayisches Leicester“

„In meiner Heimatstadt erzählen mir die Leute schon vom ‚Uruguayischen Leicester‘“, berichtet Espinel. Er war es, der im Oktober 2014 den Klub am Tabellenende der zweiten Liga übernahm und ihn zu einer unfassbaren Serie von 18 ungeschlagenen Spielen und damit zum Aufstieg führte. Das ganze geschah mit einem für europäische Verhältnisse lächerlich geringen Budget und Spielern aus der Region. Doch jeder einzelne von ihnen marschiert für seinen Trainer und Verein, bis der Schiedsrichter abpfeift, jedes Wochenende aufs Neue.

Trotz allen negativen Einschätzungen von Experten, irgendwann müsse man ja einbrechen, ging die Mannschaft unbeirrt ihren Weg und wird dies wohl auch weiter tun. Die Spieler wirken ungemein gefestigt, drehen Rückstände in Siege wie die großen Teams des Landes. In der kompletten zweiten Saisonhälfte verlor man als Aufsteiger gerade einmal ein einziges Spiel.

Ruhm und Ehre – und die Meisterschaft?

Ein Clausura-Titel würde nicht nur Ruhm und Ehre bedeuten, sondern gleichzeitig für den Einzug in das Meisterschafts-Halbfinale sorgen, wo es dann gegen den Apertura-Sieger, Diego Forlán’s Peñarol, ginge. Im großen Finale wiederum wartet dann die punktbeste Mannschaft des Gesamtjahres, entweder wieder Peñarol oder Nacional. Soweit denkt in Colonia del Sacramento noch niemand.

Doch die Region und der Verein sind voller Hoffnung und Zuversicht, das Wunder über die Ziellinie bringen zu können. Ich werde ihnen dabei zusehen, als einer der sicher wenigen Menschen in ganz Deutschland. Aber sind es nicht gerade diese Geschichten, die den Fußball so besonders machen? Aus dem nichts nach ganz oben. Man kann ihnen eigentlich nur die Daumen drücken.

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