(Wolfgang Niersbach betritt das Rednerpult, klopft zwei Mal gegen das Mikrofon. Kurzes Räuspern.)
Sehr geehrter Herr FIFA-Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Fußball-Familie,
als „Fußball-Familie“ verstehen wir uns und Sie selbst, Herr Blatter, verwenden diesen Begriff sehr gerne. Mit Recht: Wir alle hier kennen uns gut, unsere Stärken, unsere Interessen – auch unsere Schwächen; die Wege sind kurz, wir sind – das kann man so sagen – bei allem Streit, der auch in den besten Familien vorkommt, ein verschworener Haufen. Es gibt kein Problem, das wir nicht zu unserer Zufriedenheit lösen könnten.
Die gegenseitige Solidarität, die vielen Projekte der Wohltätigkeit, die die reichen mit den ärmeren Mitgliedern unserer weltumspannenden Organisation verbindet – sie machen uns zu einer Familie. Und Sie, Herr Blatter – Sie sind der Familienvater, der sich um alle seine Schützlinge sorgt und sie liebevoll pflegt. So verstehen sie sich. Doch leider – weit gefehlt.
Eine Familie sind wir zweifelsohne – doch Sie, Herr Blatter, Sie sind der Pate. Machen wir uns nichts vor: Was einst mit großem Idealismus begann, ist ausgeartet – wo einst Solidarität war, ist nun Vetternwirtschaft, wo Wohltätigkeit draufsteht ist Korruption drin, statt das Wohl des Sports geht es um Selbstbereicherung und Machterhalt. Als Verband, der die Welt (vordergründig abseits jeder Politik) unter seinem Dach zusammenfasst, waren wir seit jeher gelebte Globalisierung. Mit dem Wachsen der Märkte hat eine Entwicklung eingesetzt, die wir durch unser globales Netzwerk geschickt zu nutzen verstanden und verstehen. Wo wir sind, ist oben. Wir bringen den Menschen Brot und Spiele – oder zumindest letzteres.
Meine sehr geehrten Damen und Herren – mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, an dem der größte Sportfachverband der Welt, der Deutsche Fußballbund, dessen Vertreter ich bin, dem nicht mehr tatenlos zusehen kann. Fast täglich erreichen uns neue Meldungen von den Baustellen der WM-Stadien in Katar und Brasilien – 382 tote Gastarbeiter allein aus Nepal hat es bislang gegeben. Aus Nepal kommen etwa ein Sechstel dieser Arbeiter – die Hochrechnung überlasse ich Ihnen. Lässt Sie das kalt? Herr Präsident? Es reicht nicht mehr aus, PR-geschliffene Texte hinaus in die Welt zu blasen, Betroffenheit vorzutäuschen – wir müssen handeln!
Dass die FIFA, als deren Mitglieder wir hier versammelt sind, unter Ihrer Herrschaft die nötigen Schritte tun wird, wage ich zu bezweifeln; schon lange genug haben wir darauf gewartet. Deshalb wird der Deutsche Fußballbund bis zur Behebung aller humanitären Missstände im Umfeld der kommenden Weltmeisterschaften keine Mannschaft mehr zu FIFA-Turnieren entsenden. Und wir appelieren an die anderen nationalen Verbände es uns gleichzutun. Stellen Sie sich vor es ist WM – und keiner geht hin!
Ferner werden wir – sollte bis zum Beginn der Weltmeisterschaft in Brasilien keine Lösung vorliegen – aus der FIFA austreten und unsere Ressourcen und unser Know-How in den neu gegründeten Fußballweltverband einbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren – dies ist kein leichtfertiger Schritt, aber einer der leicht fällt. Wir, die wir hier sitzen, lieben diesen Sport seitdem wir als kleine Knirpse das erste Mal gegen den Ball getreten haben. Seien wir ehrlich: Ist es noch diese Liebe, die uns antreibt?
(Wolfgang Niersbach ab.)
Wenn er denn diese Rede jemals halten würde! Leider wird es dazu nicht kommen.
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„Eier, wir brauchen Eier!“ – und jemanden mit entsprechender Verantwortung, der sich traut, diese Worte auszusprechen…
Sehr schön. Leider wird die Satire nie Realität werden.