Aufhören, wenn es am schönsten ist

Die WM ist Geschichte, die ersten großen Transfers sind durch und so langsam kehrte nach dem Trubel des Weltturniers etwas Ruhe ein. Bis vorhin die Nachricht einschlug: Philipp Lahm beendet seine Nationalmannschaftskarriere. Der Entschluss fiel laut eigener Aussage schon im Laufe der letzten Saison – umso schöner, dass er mit dem WM-Titel abtreten konnte.

Alle seine 113 Länderspiele bestritt er in der Startformation, vom Debüt im Februar 2004 gegen Kroatien bis hin zum WM-Finale etwas mehr als zehn Jahre später. Seit er als Sechsjähriger den deutschen Kapitän Lothar Matthäus den WM-Pokal in den Nachthimmel von Rom recken sah, war er davon infiziert: Kapitän einer Weltmeistermannschaft zu sein. Diesen Traum hat er sich erfüllt. Vielleicht hat er auch bei seinem Abgang sein altes Idol im Blick; Lothar Matthäus, der sich 39jährig noch durch ein Turnier quält, in dem es nichts mehr zu gewinnen gab.

Philipp Lahm, der in seiner Karriere von schwereren Verletzungen verschont geblieben ist, hätte durchaus genügend Körner für eine lange Laufbahn. Dazu besitzt er wie ein Ryan Giggs die Spielintelligenz, die ihn auch dann noch zu einem überdurchschnittlichen Fußballer macht, wenn der Körper nachlässt. Doch Lahm hat anders entschieden. Seine Konzentration gilt dem Verein. Mit 30 Jahren ist Schluss in der Nationalmannschaft.

„Philipp ist absolut auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er will auch so gesehen werden, er hat seine Pflicht in der Nationalmannschaft erfüllt. Er hat viel zum Erfolg dort beigetragen.“
— Roman Grill, Berater von Philipp Lahm.

Eine Zukunft ohne Lahm

Mit einem Rücktritt Miroslav Kloses haben viele gerechnet, der Senior des Teams hat merklich an Spritzigkeit eingebüßt. Doch ernsthafte Sturmalternativen haben sich noch nicht aufgedrängt, also stellt er sich vermutlich weiter zu Verfügung. Diese Alternativlosigkeit gilt eigentlich auch für Lahm, was dessen Abgang umso überraschender macht. Es gibt keinen jungen Wilden, der an seinem Thron kratzt; Verletzungen außen vor, wäre er auch in zwei (und vier) Jahren noch unumstrittener Stammspieler.

Sebastian Jung, Kevin Großkreutz, Erik Durm und vielleicht auch Jerome Boateng sind die wahrscheinlichsten Kandidaten für den Platz rechts in der Viererkette (so es denn bei dieser bleibt). Der Abgang des Kapitäns ist eine große Chance gerade für die jüngeren, frühzeitig einen Fuß in die Nationalmannschaftstür zu bekommen. Auch wenn die Chancen auf den EM-Titel dadurch nicht steigen – so kann doch ein Nachfolger aufgebaut werden, der mit Turniererfahrung das Ziel Titelverteidigung 2018 in Angriff nehmen kann.

Die Nachfolge im Kapitänsamt ist hingegen weniger diffizil: Bastian Schweinsteiger die Binde zu überreichen, wäre die logische Konsequenz; andere Kandidaten sind Sami Khedira und Manuel Neuer. Beide sind sportlich und menschlich unumstritten, Khedira kommt als Kapitän der U21-Europameister von 2009 zudem eine besondere Stellung zu – bilden diese doch den Mittelbau der Nationalmannschaft.

Der Abgang Lahms ist ganz sicher eine Schwächung, doch sie ist auch eine Chance: Bei vielen großen Mannschaften folgte auf den maximalen Erfolg der tiefe Sturz, weil Schlüsselpositionen über Jahre besetzt waren und der Nachwuchs sich so nie richtig entfalten konnte. Lahm gibt dem Bundestrainer die Chance, diesen Prozess schleichend auf mehrere Jahre zu verteilen, dem Team frisches Blut zuzuführen und neue Lösungen zu finden.

Doch wer weiß? Vielleicht kehrt Lahm zur Euro 2016 auch zurück. Im Fußball sollte man nichts ausschließen; wie oft haben ein paar schlechte Leistungen in der Quali, eine Verletzung oder ein Stimmungsumschwung schon fest getroffene Entscheidungen revidiert?

Bleibende Momente

„Philipp war für mich immer ein zentraler und ganz wichtiger Ansprechpartner, mit dem wir unsere Ideen diskutieren konnten. Er kann auf seine Laufbahn stolz sein, er ist ein großartiger Spieler mit Herz, Leidenschaft und Charakter, der viel für den DFB geleistet hat.“
— Joachim Löw.

Spätestens mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft hat sich der scheidende Kapitän ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt. Doch auch so bleiben seine Auftritte im DFB-Dress in Erinnerung: Sein Tor im Eröffnungsspiel der Heim-WM 2006. Der verlorene Zweikampf gegen Torres 2008. Der Anspruch auf das Kapitänsamt bei der WM 2010. Die Diskussionen ob links oder rechts, ob rechts oder Mitte. Und ein Bild, das defintiv für immer bleiben wird: Philipp Lahm, der den WM-Pokal nach oben reckt.

 

Bild: Agência Brasil [CC-BY-3.0-br]

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