Bayerns baskische Balance

Selten stand ein Spieler, der nicht nur viel Geld sondern eine Rekordsumme gekostet hatte, so schnell außerhalb jeder Diskussion. Javi Martinez hat es geschafft. Und das obwohl er für den durchschnittlichen Fußballkonsumenten eher wenig zu bieten hat. Er tritt selten offensiv in Erscheinung, erzielt keine spektakulären Tore (okay, sein erstes Bundesligator war ein Fallrückzieher) und zeigt keine atemberaubende Dribblings. Und doch hat man nirgends vernommen, dass die Bayern zu viel Geld für ihn bezahlt hätten. Immerhin 40 Millionen Euro war er ihnen wert: Vereinsrekord.

Da steckt ja ein Plan dahinter!

Vielleicht hat seine Wahrnehmung auch mit dem gehobenen Stellenwert zu tun, den taktische Fragen in der deutschen Fußballberichterstattung in den letzten Jahren gewonnen haben. Mit eingeleitet durch Jürgen Klopps Expertentätigkeit während der Heim-WM 2006 und zementiert durch seinen Erfolg bei Borussia Dortmund in den Jahren danach, begannen Begriffe wie Gegenpressing in die Moderatorensprache und das Bewusstsein der Menschen einzufließen. Fußball bestand plötzlich nicht mehr nur aus Angriff und Verteidigung – es rückte die ganze Mannschaft in den Fokus. Während Robben-typischer Egoismus als Vorwurf sich früher nur auf mangelnde Abspielbereitschaft bezog, weitete er sich bald auch auf Defensivarbeit aus. Früher undenkbar.

Mit der Etablierung des Taktikblogs Spielverlagerung, der mittlerweile auch beim ZDF während Übertragungen präsent ist, erlangte die taktische Bildung des interessierten Zuschauers im deutschsprachigen Raum eine neue Ebene. Dass man beim Fußballschauen durchaus auch mal den Blick vom Ball lösen darf, ist eine Erkenntnis, die sich zunehmend durchsetzt – und damit weitere Erkenntnisse nach sich zieht. Wir sind sicherlich immer noch fern davon, dass alle 82 Millionen Bundestrainer taktisch geschult sind, aber zumindest ahnen mittlerweile viele, dass hinter all dem Gewusel auf dem Feld meist ein Plan steckt.

Erfolgreich – und auf Positionssuche

Martinez scheint mir – um zurück zum Spanier zu kommen – von dieser Entwicklung profitiert zu haben. An vielen Stellen, auch außerhalb von Taktikblogs und Expertenrunden, wurde seine Bedeutung für Bayerns Balance aufgezeigt. Dass am Ende seiner ersten Saison das historische Triple stand, ist auch ein Verdienst des Basken. Und die Öffentlichkeit registrierts.

Welche Rolle er im neuen System Guardiolas einnehmen wird, muss sich noch zeigen. Erste Experimente als Innenverteidiger sind gescheitert, obwohl er die Rolle bei Bilbao lange Zeit erfolgreich bekleidete. Doch wie man sich im Europäischen Supercup gegen Chelsea erneut überzeugen konnte, stellt Javi Martinez auf der Sechs Extraklasse dar, auf die man beim FC Bayern nur schwer wird verzichten können. Seine Zweikampfführung gepaart mit einer Ballsicherheit, die einem Luiz Gustavo abging, machen ihn zum perfekten Spieler für die Rolle des Anchor Man. Im Gegensatz zu Bastian Schweinsteiger, der auf der Position ebenfalls Weltklasse verkörpert, ist der Spanier Defensivspezialist durch und durch – aber: modernster Prägung.

Schweinsteiger und Martinez: Bayerns Traumpaar in neuer Rolle?

Über die Rolle Schweinsteigers ist viel geredet worden und es steht außer Frage, dass er auf der Sechs am stärksten agiert. Jedoch kann er auch als Achter agieren, von denen es in Guardiolas System zwei gibt. In der letzten Saison leitete er als Sechser häufig in vorderster Front das Pressing der Bayern an; das könnte er als Achter sehr gut fortsetzen. Abgesehen davon könnte er mit Martinez hinter sich einige interessante Wechselwirkungen erzeugen: Tut man sich im Spielaufbau schwer, lässt sich Schweinsteiger wie gewohnt zwischen die Innenverteidiger fallen und Martinez sorgt mit seiner Kopfballstärke und körperlichen Präsenz vorne mit Mandzukic für Unruhe. Die Versetzung Schweinsteigers um eins nach vorne dürfte (wenn überhaupt) qualitativ weniger verlustbehaftet sein als diejenige Martinez‘ nach hinten.

Beide jedoch dürften in den großen Spielen unverzichtbar sein, was das Gedränge im Bayernmittelfeld nicht kleiner macht. Aber egal wie: Martinez als alleiniger Sechser stellt die Basis dar, auf der die fünf Offensiven vor ihm ihr Spektakel abbrennen können. In der letzten Saison kassierte der FC Bayern mit Martinez in der Liga und den entscheidenden Spielen in der Champions League (Ausnahme: letztes Spiel gegen Gladbach und Rückspiel gegen Arsenal) kein Tor aus dem Spiel heraus – mehr Balance im Spiel geht nicht.

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