Manu, der Libero. 2:1 n.V. gegen Algerien.

Es war das erwartet zähe Spiel, in dem Algerien vor allem in der ersten Hälfte mit hohem Aufwand der deutschen Nationalmannschaft das Leben schwer machte. Nach der Pause war der Zauber allerdings bis auf wenige Ausnahmen vorbei und nur die erneut sparsame Chancenverwertung verhindert eine gnädigere Beurteilung des Spiels. Deutschland gehört mittlerweile zu den Nationen, in denen die Spiele nicht nur gewonnen werden müssen, sondern nach Möglichkeit auch schön und deutlich. Löws Paradigmenwechsel, eine außergewöhnliche Torwartleistung und Lahms Position – die drei wichtigsten Dinge aus dem Achtelfinalspiel gegen Algerien:

1. Die Sache mit der Sechs – und den vier dahinter

Mit der Verletzung Mustafis rückte Lahm erstmals bei dieser WM auf seine angestammte Position rechts in der Viererkette. Sofort wurden zwei Dinge deutlich: erstens, dass ein spielstarker Außenverteidiger unerlässlich ist, und zweitens, dass ein zentrales Mittelfeld aus Kroos, Schweinsteiger und Khedira gerne mal vergisst, die Sechs besetzt zu halten. Was gut und gerne für ein Kontergegentor hätte sorgen können. Dass es funktionieren KANN, wissen wir noch von 2010 – heuer scheint da noch etwas Abstimmungsarbeit notwendig.

Apropos: Wieso Löw Hummels durch Mustafi ersetzte, erschloss sich den wenigsten. Und in der Tat fehlen gute Argumente (es sei denn „Never change a winning system“ zählt). Die klimatischen Bedingungen sprachen nicht für eine tiefe Linie, weshalb die Außenverteidiger (wie die gesamte Viererkette) hoch standen. Dementsprechend komprimiert war der Raum in der gegnerischen Hälfte und gerade da hätten ball- und passsichere Außenspieler eine wichtige Rolle gespielt. So gingen viele Bälle unnötig leicht verloren und Algerien wusste vor allem in Halbzeit eins dies für gefährliche Gegenstöße zu nutzen. Dass diesen kein Erfolg beschieden war, lag vor allem an einer Person:

2. Manu, der Libero

Während bislang klassische Keeper wie Mexikos Ochoa oder Costa Ricas Navas auf sich aufmerksam zu machen wussten, stellte gestern Manuel Neuer sein Torwartspiel zur Schau. Doch im Gegensatz zu erstgenannten nicht mit spektakulären Paraden: ein uns andere Mal klärte er algerische Steilpässe vor enteilten Stürmern,  und sei es im Laufduell auf der rechten Abwehrseite. Folgerichtig feierte Bela Rethy die Rückkehr des Liberos nach Deutschland und man möchte fast ergänzen, dass sich in Manuel Neuer zusätzlich Elemente eines Pressingspielers dazugesellen (vergleiche besagte Szene rechts außen). Mit 19 bis 21 Ballkontakten außerhalb seines Strafraums stellte er zudem eine Bestmarke bei dieser WM auf.

Dass Oliver Kahn mit dieser Spielweise („Harakiri“) wenig anfangen kann, zeigt, wie sehr sich die Zeiten in den letzten zehn Jahren geändert haben. Dort, wo Kahn leistungstechnisch 2002 war, ist Neuer heute – ohne dass man die Szenen der beiden irgendwie vergleichen könnte. Übrigens scheint die Zeitenwende auch anderswo noch nicht angekommen zu sein: Man of the Match wurde der algerische Torhüter. Keine Pointe.

Weil der Kollege öfter unter den Tisch fällt, an dieser Stelle ein Extralob: Unterstützt wurde Neuer von einem erneut exzellenten Jerome Boateng, der zeigte, wieso er der (meines Erachtens) beste deutsche Innenverteidiger ist. Obwohl die wiederholten Ballverluste im Mittelfeld das Verteidigen schwierig machten, hielt Boateng nach Leibeskräften den Laden zusammen und überzeugte mit gewohnt starker Antizipation und Zweikampfstärke. Ergänzt wurde das durch den ein oder anderen starken Ball nach vorne, allen voran ein präziser 70-Meter-Ball in den Fuß von Schürrle. Schade, dass er im Viertelfinale wohl wieder nach rechts muss, auch wenn er da die nach Lahm beste Alternative darstellt.

3. Schön vs. Erfolgreich – Löws Paradigmenwechsel

Dass die Bewertung des Achtelfinals in der Nachberichterstattung und den heutigen Zeitungen nicht allzu euphorisch ausgefallen ist, überrascht wenig. Das neue Deutschland steht doch für schönen Fußball (also viele Tore), wieso jetzt nicht mehr, wieso nicht gegen Algerien? Mertesacker offenbart in seinem Interview die Stimmungslage: „Wat wollnse? Wollsne ne erfolgreiche WM oder solln wir wieder ausscheiden und haben schön gespielt?“

Ob sich beides ausschließt, soll hier nicht diskutiert werden – bemerkenswert ist aber, dass Löw offensichtlich einen Paradigmenwechsel vollzogen hat. Nahm er vormals Gegentore als Bestandteil seines extremen Offensivfokus gerne in Kauf, steht jetzt die defensive Stabilität im Vordergrund – in dem Wissen, vorne immer für ein Tor gut zu sein.

Der bislang stärkste Gegner – vielleicht im gesamten Teilnehmerfeld – wird nicht nur den Spielern, sondern auch Jogi Löw alles abverlangen. Dass er laufende Spiele durch taktische Umstellungen beeinflussen kann, hat er bislang nur selten unter Beweis gestellt. Ich hoffe, dass alles bisherige auf die großen Spiele ausgelegt war und der Plan trägt. Gegen Frankreich ist Attraktivität nur ein Zubrot, hier muss das Ergebnis stehen.

Die bisherige WM war ein Fingerzeig in die Richtung, dass unattraktive Spiele gegen defensive Gegner die Kehrseite der Portugal-Medaille sind. Ob der Plan auch gegen Frankreich aufgeht, wird maßgeblich für die Bewertung des Turniers sein. Bei einem Ausscheiden wird man Löw Inkonsequenz und Verrat am Spielstil vorwerfen (und seinen Kopf fordern), bei einem – souveränen – Weiterkommen ist die deutsche Fußballwelt wieder heil. Hoffen wir also, dass alles nach Plan verläuft.

 

Bild: Steindy, CC 3.0

 

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