Aufstieg und (Aus-)Fall des H. Badstuber

Vor einem Jahr, genauer am 16.10.2012, fand das denkwürdige Hinspiel in der WM-Quali gegen Schweden statt. Zur Erinnerung: Nach überragenden 55 Minuten stand es 4-0 für Deutschland, doch nach einem schwedischen Doppelschlag (62./64.) geriet die deutsche Mannschaft plötzlich dermaßen ins Schwimmen, dass die eindrucksvolle erste Stunde wie aus einer anderen Zeit schien. Mit dem Schlusspfiff kamen die Tre Kronors durch Elm noch zum Ausgleich.

Ein Spiel für die Geschichtsbücher – und eins, das für viel Gesprächsstoff sorgte. „Mit einem Bender wäre das nicht passiert!“ soll der Legende nach ein angefressener Schweinsteiger, der auf der Doppelsechs von Kroos flankiert wurde, in der Kabine gebrüllt haben. Dass aber die Herren Schweinsteiger, Lahm, Neuer, Mertesacker und Klose durchaus auf dem Platz standen, rief in der Folge eine neue Führungsspieler-Diskussion hervor. Salz in die Wunden, die durch die bittere Niederlage nicht mal fünf Monate zuvor im Finale dahoam und das Ausscheiden im Halbfinale der EM2012 gegen Italien aufgerissen wurden. Horrorszenarien einer titellosen Generation wurden wieder aufgeheizt, ebenso wie eine Defensiv-Debatte.

Ein Jahr, das den deutschen Fußball veränderte

Für einen jedoch bedeutete dieses Länderspiel einen tiefen Karriereeinschnitt: Holger Badstuber trug an jenem 16. Oktober zum vorläufig letzten Mal das Trikot der Nationalmannschaft. Doch nicht die Gegentore wurden ihm, dem Abwehrspieler, zum Verhängnis; knapp zwei Wochen nach dem Spiel zog er sich einen Muskelfaserriss zu, dem fast unmittelbar ein Kreuzbandriss folgte, der ihn bis heute außer Gefecht setzt.

Damit fällt er bald ein Jahr lang aus; ein Jahr, das die deutsche Fußballlandschaft verändert hat: Der Triple-Sieg der Bayern hat die Zweifel an der Siegermentalität der deutschen Führungsspieler beiseite gefegt. Und nach zuletzt drei Zu-Null-Siegen sind auch die Sorgen um die defensive Stabilität der Nationalmannschaft vorläufig abgeklungen. Holger Badstuber konnte das alles nur von außen betrachten – dabei sollte eigentlich im Zentrum dieser Entwicklung stehen: als Abwehrchef, sowohl bei Bayern als auch in der Nationalmannschaft.

Lucio? Badstuber!

Als 2009 Louis van Gaal Trainer in München wurde, zog er einen jungen, schlaksigen Innenverteidiger hoch zu den Profis, bei denen der brasilianische Weltmeister Lucio die Abwehr organisierte – bzw. die längste Zeit organisiert hatte. Denn der eigensinnige Holländer schickte ihn, den verdienten Bayernspieler, in die Wüste und gab seinen Platz besagtem jungen Schlacks – Holger Badstuber. Dabei profitierte er von der Verletzung des erfahrenen Demichelis, doch auch nach dessen Genesung blieb Badstuber in der ersten Elf und verdrängte Pranjic als Außenverteidiger. Egal auf welcher Position – er rechtfertigte das Vertrauen mit Leistung und durfte am Ende seiner ersten Saison nicht nur Meisterschale und Pokal in Händen halten, sondern auch ein Champions League-Finale bestreiten. Vorläufiger Höhepunkt seines Aufstiegs: das erste Länderspiel im Mai 2010 und die Nominierung für die WM2010.

Diese Entwicklung, die den Stoff für Heldensagen liefert, fand allerdings nicht die große Würdigung der breiten Masse. Das hatte zwei Gründe: Parallel erlebte Fußballdeutschlands neuer Liebling seinen Aufstieg – Thomas Müller. Wie Badstuber bekam er von van Gaal früh das Vertrauen geschenkt, zahlte es zurück – und katapultierte sich in der Nationalmannschaft in höchste Sphären. In den letzten Testspielen ergatterte er den Stammplatz von Piotr Trochowski und schrieb dann in Südafrika seine eigene Legende: von der 3. Liga zum Torschützenkönig der Weltmeisterschaft in unter einem Jahr! Gepaart mit seiner Unverkrampftheit und Humor war ihm die volle Aufmerksamkeit der Medien gewiss.

Badstuber unterdessen – und damit kommen wir zum zweiten Grund – startete ebenfalls als Stammspieler in das Turnier, allerdings auf der Position des linken Verteidigers. Diese Rolle hatte er über weite Teile der Saison im Verein erfolgreich bekleidet – seine Lieblingsposition war es aber nie. Dort offenbarte er gerade in der Nationalmannschaft Schwächen. Folgerichtig war das Abenteuer WM auch schon nach dem zweiten Spiel beendet – nach der Auswechslung in der 77. Minute gegen Serbien (0-1) stand er in Südafrika keine Minute mehr auf dem Platz.

Erste Hindernisse – doch der Aufstieg geht weiter

Die darauffolgende Saison endete titellos. In der Meisterschaft wurde man nur Dritter, in der Champions League scheiterte man bereits im Achtelfinale gegen Inter Mailand und im Pokal war im Halbfinale gegen Schalke Schluss. Genug für die erfolgsverwöhnten Bosse, um mit dem starrköpfigen van Gaal zu brechen. Auch Badstuber persönlich musste die ersten Täler durchschreiten: Eine Schambeinentzündung setzte ihn fast zwei Monate außer Gefecht, auch stand seine Leistung nicht immer außerhalb der Kritik. Aber wer will das einem jungen Spieler verdenken. Immerhin: Wenn er fit war, spielte er.

So gelang es ihm, den nächsten Schritt zu machen: Mit Beginn der EM-Qualifikation am 3. September 2010 konnte er sich als Stammspieler in der Nationalmannschaft betrachten. Das Innenverteidigerpärchen hieß Mertesacker und: Badstuber.

Der Final-Fluch

Auch 2011/12 unter dem neuen Trainer Jupp Heynckes agierte er als Innenverteidiger, und das konstant: 33 mal spielte er in der Liga – nur ein Spiel verpasste er aufgrund einer Gelbsperre. Apropos: Eine solche verhinderte auch seinen Einsatz im größten Spiel der Vereinsgeschichte – dem Finale dahoam gegen Chelsea. So musste er sich das Drama von draußen ansehen; am Ende der Saison standen drei zweite Plätze.

Doch eins hatte der Fußball noch in petto: sein zweites großes Turnier stand vor der Tür – die EM2012. Mats Hummels, mit dem er einst bei Bayerns Amateuren spielte und der inzwischen zweifacher Meister mit Dortmund war, ging als sein neuer Partner in das Turnier. Badstuber war zum Abwehrchef aufgestiegen. Er bestritt alle Spiele über die volle Distanz – doch erneut blieb ihm die Teilnahme an einem großen Finale versagt: im Halbfinale musste man gegen Italien die Segel streichen.

Badstuber, der Unvollendete

Es folgte die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte des FC Bayern – und sie begann mit der erneuten Versetzung Badstubers nach links. Die Position blieb durch die Verletzung Alabas verwaist, sodass Badstuber ein mal mehr die ungeliebte Rolle einnehmen musste. Vielleicht war es Glück für Heynckes, dass sich Dante und Boateng so früh einspielen konnten, denn kaum war Alaba zurück, erwischte es Badstuber: Muskelfaserriss. Sofort nach seiner Genesung nahm er allerdings wieder den gewohnten Posten in der Innenverteidigung ein – Badstuber, der Abwehrchef. Das Glück währte kurze vier Spiele, bis zum 15. Spieltag: Beim Duell mit Doublesieger Dortmund muss Badstuber nach 37 Minuten ausgewechselt werden. Die Horrordiagnose: Kreuzbandriss!

Seit diesem Tag, dem 1. Dezember 2012, stand Holger Badstuber nicht mehr auf dem Fußballplatz und auch heute ist er noch weit von einem Comeback entfernt. Die aktuelle Saison wird ihn nicht mehr sehen. Während seine Kollegen Lahm, Schweinsteiger, Kroos – auch Gomez – den Makel der Titellosigkeit abgestreift haben, konnte er nur zusehen. Immer wieder hat die Mannschaft mit öffentlichen Bekundungen auf Pressekonferenzen oder nach Siegen gezeigt, dass sie an ihn denkt. Badstuber weiß das zu schätzen, doch er weiß auch: Es wird schwer für ihn, noch einmal auf sein altes Niveau zu kommen.

Ein Jahr ist viel Zeit im Fußball, es hat sich viel geändert. Dortmund ist vom Gejagten wieder zum Jäger geworden, Bayern stellt die beste Mannschaft Europas, Jupp Heynckes hat sich ein Denkmal gebaut wie es größer in Fußballdeutschland nur wenige gibt, Jerome Boateng, mit dem Badstuber 2012 große Schlachten gegen Neapel und Madrid schlug, hat sich zu Deutschlands erstem Innenverteidiger aufgeschwungen. Und Holger Badstuber? Arbeitet an seiner Rückkehr. Tag für Tag. Vielleicht die größte der aufgeführten Leistungen – sollte sie von Erfolg gekrönt sein.

 

Bild: Von Peter P. auf Flickr unter Creative Commons 2.0 veröffentlicht.

Ein Gedanke zu „Aufstieg und (Aus-)Fall des H. Badstuber

  1. Ballsportblog

    Was Holger Badstuber passiert ist im letzten Jahr, wünsche ich keinem Fußballer! Solch ein Verletzungspech ist ja nicht alltäglich, Kreuzbandriss über Kreuzbandriss. Klar muss man dann überlegen, ob Badstuber aus diesem Tief überhaupt noch einmal herauskommt. Wie du richtig schreibst: „Ein Jahr ist viel Zeit im Fußball“, vor allem wenn ein neuer Trainer den Verein übernimmt. Wenn man sich aber in diesem Zusammenhang das Beispiel Sebastian Kehl anschaut, wird deutlich, dass nichts unmöglich ist… ich hätte niemals damit gerechnet, dass Kehl es noch einmal in die Mannschaft des BVBs schafft – und das in seinem damaligen Alter.
    Daher denke ich schon das Holger Badstuber zurückkommt und wieder sein altes Level erreicht. Ich frage mich nur, ob das eben beim FC Bayern passieren wird. Er wird sich diese Saison wohl das Geschehen ganz genau anschauen.
    Letztes Jahr war er trotz seiner Verletzung ein moralische Stütze für seine Mannschaft, er war nah dran an seinen Mannschaftskameraden. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ist das diese Saison unter Pep ein wenig anders. Im Moment wird er meines Erachtens ein wenig vergessen, ich weiß gar nicht wann sein letzter öffentlicher Auftritt war!? Ich jedenfalls habe lange nichts mehr von Badstuber gehört und hoffe, dass er zur Abwechslung mal wieder ein wenig Glück hat!

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