beton anruehren

Beton anrühren (in drei Akten)

1. Akt
Auf dem Lande

Um einen Ansturm zu überdauern
ist es oft üblich sich einzumauern.
Und so, damit nicht die Gegner bald führen,
beginnt jeder kräftig Beton anzurühren.
Schicht auf Schicht und Stein auf Stein,
die Festung soll bald fertig sein.

Doch ohne den Plan fehlt die Stabilität,
deshalb fällt manches Bollwerk noch bevor es steht.
Und so mischt noch manch einer munter Zement
während hinten schon lange die Bude brennt…

Was ist Fußball? Eine Frage, auf die es für einen meiner früheren Trainer nur eine Antwort gab: „Fußball ist ein Laufspiel!“ Sprachs… und schickte die Mannschaft auf die nächste Runde um den Sportplatz. Dass man auch das Spielgerät als namensgebend für die Sportart hätte ansehen können, lag ihn mehr als fern. Ebenso wie nichtschwarze Fußballschuhe, die Viererkette und Mitlaufen übrigens.

Die Stichwörter seiner Philosophie (oder wie man das damals nannte) waren Gras fressen, kämpfen, nachsetzen… Kein Fehlpass, kein Ballverlust, kein verlorener Zweikampf der nicht von einer der genannten Parolen begleitet gewesen wäre – vom Trainer und zigfach gespiegelt von den anverwandten Zuschauern.

Die an die gesamte Mannschaft gerichtete Anweisung lautete folglich: Beton anrühren! Dass man als nur durch Wohnort und Jahrgang zusammengewürfelter Haufen von unbedarften Jugendspielern dazu überhaupt keine Lust verspürte – Fußball sollte ja Spaß machen –: geschenkt. Kurioser ist die Tatsache, dass der schlichte Schlachtruf von der Seitenlinie alles war, was man an die Hand bekam. „Beton anrühren!“ musste für sich selbst sprechen. Wer braucht schon einstudierte Abläufe in der Defensive? Verschieben? Abstände? „Beton anrühren!“ verlangte im Training nur eins: Laufen, laufen, laufen!

Im Spiel war defensive Stabilität nach ausgerufenem „Beton anrühren!“ deshalb nur äußerst selten die Folge – und wenn dann rein zufällig. Irgendwie fehlte die gemeinsame Vorstellung von der Umsetzung. Die ohnehin defensiv eher wenig engagierten Offensivspieler verlegten sich nun vollends darauf, an der Mittellinie auf Konter zu warten (zu viert, mindestens). Vermutlich aber änderte sich einfach gar nichts: Die Innenverteidiger Manndecker wurden weiterhin fröhlich ange- und überlaufen, der Libero kloppte weiterhin alle Bälle nach vorne, die er bekommen konnte. Und wenn nicht, dann drosch eben der Torwart – es war die Zeit – ollikahnesk wutschnaubend den Ball gen Anstoßkreis und brüllte mit sich vor Enttäuschung und angestrengter Olli-Kahn-Darstellung überschlagender Stimme: „Wir wollten doch Beton anrühren!“

2. Akt
Auf großer Bühne

Wenn die Topteams mit ihren ewig langen
nervenzermürbenden Ballstafetten,
Ballbesitzfußball und Flügelzangen,
doppelten Sechsern und Dreierketten 
mal wieder das Spiel allein kontrollieren,
ist vielen Gegnern nur eines geblieben:
„Lasst uns komplett den Strafraum blockieren,
soll’n sie sich draußen den Ball doch zuschieben!“

Und so tanzen die Künstler erneut ihren Tanz
und die andern, die mauern mit Maus und mit Mann.
Es spielt eben nicht jede Mannschaft mit Glanz:
Für den Sieg spielt jedes Team so, wie es kann. 

Anderthalb Jahrzehnte später hat das Tiki-Taka des FC Barcelona und der spanischen Auswahlmannschaften den europäischen Kontinent überrollt und sich stilbildend in die Köpfe und Füße ungezählter junger Fußballer eingebrannt. „DAS ist Fußball!“ verkündet eine neue Generation Trainer – und lässt ausschließlich mit Ball trainieren, komplexe Passstafetten einstudieren und fordert aktives Gegenpressing bei Ballverlust. Ob das Spielermaterial dafür geeignet ist und ob die jungen Körper schon die Präsenz haben, um ein ganzes Spielfeld mit dieser Idee zu beherrschen: Egal. „Tiki-Taka, Jungs, Gegenpressing!“

Die diesem Stil eigene Verweigerung, den Gegner am Spiel teilhaben zu lassen, führte auf den Brettern, die die Fußballwelt bedeuten, zum Revival des Betonanrührens. „Heute wollte nur eine Mannschaft Fußball spielen – und das waren wir!“, so mosern dann Vertreter der Ballbesitzmannschaft. Destruktiver Fußball wird das geschimpft, dabei ist die Rechnung eine einfache: Nehmt ihr uns den Ball, nehmen wir euch den Raum. Ins offene Messer zu rennen ist keine Alternative.

Mit der eingangs geschilderten Vorgehensweise hat das (freilich) wenig gemein – im Gegenteil. Ich weiß nicht, ob sich mal Kritiker aus der Tanzabteilung vom Euro Palace Online Casino der Thematik gewidmet haben, aber ich bin überzeugt: Es wäre ein Genuss für ihre Augen. Diese Choreografie aus unzählig vielen kleinen Einzelbewegungen, die sich nicht (nur) an einem einstudierten, chronologischen Ablauf orientieren, sondern in vielfältigen Variationen immer neu auf den Gegner reagieren muss. Angriff um Angriff muss abgewehrt werden, immer neu, immer anders, aber immer auf der selben Grundidee beruhend. Tausende kleiner Schritte, die zwischen den Protagonisten immer wieder ein unsichtbares Band weben, das man Abstand nennt – viele Abstände, die gehalten werden müssen, damit sie ihrerseits wieder das Gesamte halten. Ausgeführt von Individuen, die sich in den Dienst einer, ihrer Sache stellen – nämlich den Kampf gegen die Dominanz der eigentlichen Spielverderber, die sich in den Mantel des Filigranen hüllen.

Fußball für Teamplayer – auch dieses Attribut beansprucht das Tiki-Taka für sich. Immerhin wird der Ball laufen gelassen, jeder – vom Torwart angefangen – darf mitspielen, es gibt flache Hierarchien ohne röhrende Platzhirsche. Und doch: Je mehr Kurzpässe aneinandergereiht werden, desto höher die Lust des Einzelnen, darf sein Fuß doch öfter das Spielgerät streicheln. Anders bei den Kontrahenten: Beton anrühren ist Teamwork ohne Gegenleistung – Laufleistung wird mit mehr Laufarbeit vergolten, Genuss daraus zieht einzig, wer das große Ganze sieht. Wer sieht, wie aus Schweiß die Fäden für den Tanz gewoben werden. Ein Tanz, der aus wahrem Mannschaftsgeist erwächst.

Und doch gehören zum Fußball Tore, wenn man das Spiel gewinnen will. Und so verbandelt sich „Beton anrühren“ mit „Nadelstiche setzen“. Und dann und wann – ganz selten – schwingen sie sich auf zu einer Symphonie: Float like a butterfly, sting like a bee.

 

3. Akt
Auf dem Bau

„Aki, mach‘ Betong, du Arsch!“

Fazit:

Vom Beton Anrühren in der Abwehr
ist es zu dem auf dem Bau nicht weit:
Ein Haufen Männer rennt (planlos) umher
und ein Besserwisser steht draußen und schreit …

 

Dieser Beitrag wurde am von unter Fußballlyrik veröffentlicht.

Über Tery Whenett

Tery fing mit 8 Jahren an, systematisch Fußballthemen zu sammeln und in einem Aktenordner aufzubereiten. Mit 16 unterhielt er eine Hargreaves-Fanpage und beginnt, unzählige Fußballartikel zu speichern. Und nun, zehn Jahre später, wird das geballte (Halb-)Wissen ausgebloggt.

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