„Lewandowskis Abgang wiegt schwerer als der von Götze“ – Interview mit Sylvia Schemmann

Hallo Sylvia, du führst den RoteErdeBlog – wie bist du zum BVB und zum Bloggen gekommen?

Also, BVB-Fan bin ich schon, seit ich auf der Welt bin. Ich bin in Dortmund geboren und aufgewachsen und komme aus einer völlig BVB-verrückten Familie, die mich vom ersten Tag an zum BVB-Fan erzogen hat. Die klassische Geschichte also! Mit fünf Jahren war ich zum ersten Mal mit meinen Eltern im Westfalenstadion, seit zwölf Jahren stehe ich auf der Süd. Ich hatte also nie eine andere Wahl ;-) Aber den Verein sucht man sich ja auch nicht aus, sondern er wird einem gegeben. Meinen Blog führe ich jetzt seit einem guten Jahr, im Januar 2013 habe ich angefangen. Ich habe schon immer gerne geschrieben, schreibe auch manchmal Artikel für www.westline.de, aber das reichte mir irgendwann nicht mehr. Ich wollte regelmäßig schreiben und zwar am liebsten über meine große Leidenschaft :  BVB und Fußball. Mein Blog gibt mir die Plattform dazu. Ich finde es aber auch toll, dass man mit der Zeit viele Kontakte, z.B. zu anderen Bloggern knüpft und sich über Fußball austauschen kann. Das Bloggen ist eine echte Bereicherung für mein Leben.

Unter Klopp hat der BVB eine erstaunliche Entwicklung genommen – dennoch scheint man sich bei den Verantwortlichen sehr genau bewusst zu sein, wo man herkommt; Stichwort Fast-Insolvenz. Wo siehst du den Verein in Deutschland und Europa?

In Deutschland sehe ich den BVB aktuell durchaus als Nummer zwei hinter den Bayern, allerdings mit einem deutlichen Abstand dazwischen. Bayern hat leider in Sachen Professionalisierung ungefähr 30 Jahre Vorsprung, die holt man nicht in vier oder fünf Jahren auf.  Auch in Europa sehe ich uns trotz des Erreichens des CL-Finals im letzten Jahr auch noch nicht in der absoluten Spitzengruppe. Dennoch haben wir uns international wieder einen Namen gemacht und Europa mit tollem Fußball begeistert. Und ich denke, dass wir durchaus mittlerweile ein Topverein sind, über den sich anderen Vereine nicht unbedingt freuen, wenn sie ihn zugelost bekommen. Nur zur Kategorie Barca, Real Madrid, Bayern fehlt dann eben doch noch ein bisschen was.

Was das Wichtigste ist: diesmal steht die Entwicklung, wie es scheint, auf einem soliden Fundament und das ist die Basis dafür, langfristig oben mitzuspielen. Ich finde schon, dass der BVB sich nach dem Fast-Bankrott in gewisser Weise neu erfunden hat.  Dass wir nur sechs Jahre nach der Krise Deutscher Meister geworden sind, ist für mich heute noch ein absolutes Wunder. Und deshalb verstehe ich auch Fans nicht, für die diese Saison jetzt schon gelaufen ist, nur weil man voraussichtlich die Bayern nicht mehr einholen wird. Die Verantwortlichen scheinen sich bewusst zu sein, wo wir her kommen, aber manche Fans offenbar nicht. Einige nehmen die Erfolge schon wieder als zu selbstverständlich wahr.

Seit der ersten Meisterschaft mussten jedes Jahr ein Leistungsträger abgegeben werden, zuletzt an den direkten Konkurrenten Bayern. Wie bewertest du die Transfers von Götze und Lewandowski? Wiegt Lewandowskis Abschied genauso schwer wie der von Götze oder ist man gar froh, dass das Theater vorbei ist?

Hm, schwierig. Ich würde sagen, dass man die beiden Fälle nicht vergleichen kann, weil Götze praktisch von heute auf morgen gewechselt ist, während Lewandowski gefühlt ja schon seit anderthalb Jahren jeden Tag zu Bayern wechselt. Sportlich, würde ich sagen, wiegt der Abgang von Lewandowski schwerer als der von Götze. Nicht weil Götze weniger Klasse hat, aber ihn musste der BVB schon in den letzten Jahren immer mal wieder längerfristig ersetzen, was auch gut gelungen ist. Das Double 2012 z.B. wurde praktisch ohne ihn gewonnen, weil er die ganze Rückrunde ausfiel. Und ich bin nicht davon überzeugt, dass der BVB mit ihm das CL-Finale gewonnen hätte. Menschlich hat sein Wechsel natürlich enttäuscht, er ist in Dortmund aufgewachsen, spielte seit über zehn Jahren beim BVB – viele hatten bei ihm wohl einfach mehr Loyalität erwartet. Deshalb schlug das auch meines Erachtens solche Wellen. Es war das Gefühl, sich in Götze abgrundtief getäuscht zu haben. Immerhin hat man 37 Millionen Euro für ihn bekommen und konnte damit im Sommer ordentlich investieren. Und trotz der kleinen Krise am Ende der Rückrunde finde ich, dass wir seinen Abgang insgesamt ganz gut kompensiert haben.

Zu Lewandowski: er verballert zwar auch viele Chancen, aber trotzdem halte ich ihn für einen der komplettesten Stürmer in Europa und auf jeden Fall für den komplettesten Stürmer in der Bundesliga. Dazu ist er absolut nicht verletzungsanfällig. Insofern hätte ich es auch echt lieber gesehen, er wäre nach England gegangen, statt künftig seine Tore für unseren Liga-Konkurrenten zu schießen. Vom Sportlichen mal abgesehen wird ihm aber wohl keiner eine Träne nachweinen.  Das Theater, das er und seine Berater speziell im letzten Jahr abgezogen haben, war wirklich Hardcore und es war unglaublich respektlos gegenüber dem Verein, der ihn letztlich groß gemacht hat. Deshalb würde ich sagen, sportlich wiegt der Abgang schwer, ansonsten kann man aufatmen, dass es vorbei ist.  Und man wusste lange genug, dass er im Sommer weg sein wird, somit hat man jetzt auch Zeit genug, in Ruhe den Markt zu sondieren. Auch das war ja bei Götze anders, das Zeitfenster, um einen Nachfolger zu verpflichten war wesentlich kürzer.

Nach dem Götze-Transfer wurde von Watze angekündigt, dass es ab sofort keine Ausstiegsklauseln mehr geben wird. Jetzt musste man einen Lewandowski ablösefrei gehen lassen, den man (hypothetisch) mit einer AK hätte verlängern können. Rechtfertigt die Planungssicherheit den Verzicht auf viel Geld bzw den früheren Abschied des Spielers? Wie sollte man z.B. mit Gündogan verfahren?

Also, das mit Lewandowski ist aber wirklich sehr hypothetisch ;-) Ich denke nicht, dass er verlängert hätte, auch nicht mit AK. Grundsätzlich sind Ausstiegsklauseln ja ein legitimes Mittel – wenn sie eine angemessene Höhe haben. Dass der BVB z.B. Sahin 2011 aufgrund einer solchen Klausel für 10 Mio. abgeben musste, war ein Witz. Er war mit Sicherheit das Doppelte wert. Bei Götze waren die 37 Millionen einigermaßen angemessen. Ausstiegsklauseln finde ich, wenn überhaupt, nur in Ordnung, wenn sie eine angemessene Summe beinhaltet, denn dann profitieren möglicherweise alle Seiten von einem Transfer.

Ich denke, man muss das immer von Fall zu Fall sehen. Grundsätzlich ist Planungssicherheit sehr wichtig für die Vereine, weil es eben verhindert, dass man irgendwelche Schnellschüsse auf dem Transfermarkt tätigen muss. Und ja, ich würde schon sagen, dass man dann im Zweifelsfall auch mal in Kauf nehmen muss, dass ein Spieler ein Jahr eher geht. Nehmen wir den Fall Gündogan: natürlich ist er ein enorm wichtiger Spieler und sein Fehlen hat sich bemerkbar gemacht. Aber er ist nicht unersetzbar, zumal ich auch daran glaube, dass Sahin sich noch weiter steigern wird. Wenige Spieler sind wirklich unersetzbar.  Wenn er nicht verlängern will, dann würde ich ihn im Sommer verkaufen, ich würde ihn nicht 2015 für lau gehen lassen.  Vielleicht könnte man ihn mit einer AK halten, aber dann ist er vielleicht im übernächsten Sommer weg und möglicherweise für eine geringere Summe als er dann wert sein wird.

Ich meine, der BVB sollte AKs vermeiden, wenn es irgendwie geht. Denn seit die üblich geworden sind, sind Verträge wirklich nicht mehr das Papier wert, auf dem sie unterzeichnet wurden. Vielleicht wird man das nicht immer schaffen, aber versuchen sollte man es, denn für den Erfolg ist es eben auch wichtig, dass ein Team möglichst zusammenbleibt. Man sieht ja jetzt schon bei nur zwei Neuzugängen im Mittelfeld, dass da diese Automatismen im Zusammenspiel mit den anderen manchmal noch fehlen, speziell bei Mkhitaryan. Ich hoffe auch, dass man Reus die AK vielleicht noch abkaufen kann.

Wenn ein guter Spieler seinen Verein schon verlässt, dann sollte er dem abgebenden Verein doch wenigstens eine angemessene Summe in die Kasse spülen, damit dieser eine Chance hat, ihn gleichwertig zu ersetzen. Und das ist bei einer offenen Transferverhandlung eben wahrscheinlicher als bei einer AK, die vielleicht Jahre vorher aufgesetzt wurde. Ich fand es gut, was Mats Hummels in dem Zusammenhang mal dazu gesagt hat. (Hab es gerade nicht parat, aber es ging genau in die Richtung.) Irgendwo verstehe ich auch die Spieler nicht: entweder sehe ich meine Zukunft mittelfristig bei einem Verein oder eben nicht. Und wenn nicht, dann verlängere ich eben meinen Vertrag nicht. Wozu soll eine Verlängerung gut sein, wenn ein Spieler dann doch kurz danach weg ist, wie im Fall Götze? Und auch für den hätte man ohne diese Klausel sicher mehr als 37 Millionen gekriegt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wie seht ihr das? Sollte der BVB noch Ausstiegsklauseln vergeben? Wir freuen uns auf eure Kommentare!

 

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